Vorder- und Rückseite des CD-Booklets "Religiöse Programmmusik für Orgel" 

 

 

Im Jahre 2007 wurde die große Klais-Orgel der Pfarrkirche St. Mariae Geburt erstmals mit einer Audioproduktion in digitaler Klangqualität dokumentiert.

Nach der Renovierung und Erweiterung der Orgel durch eine neue Setzeranlage ist es nun möglich, auch großangelegte, symphonische Werke mit ihren differenzierten Registrieranforderungen komfortabel umzusetzen.

Kantor Jens-Christian Vogel ist auf dieser neuen Orgel-CD mit Julius Reubkes "Der 94. Psalm" und Marcel Duprés "Symphonie-Passion" mit dem Titel "Religiöse Programmmusik für Orgel" zu hören.


Preis: 10,-- € plus Versandkosten

Erhältlich unter: siehe "Kontakt"

 

 

 

 

aus dem Booklet der CD "Religiöse Programmmusik für Orgel"

 

Julius Reubke: Der 94. Psalm

 

Julius Reubke wurde am 23. März 1834 in Hausneindorf am Harz als zweiter Sohn des Orgelbauers Adolf Reubke geboren; nach erstem Musikunterricht in Quedlinburg ging Reubke 1851 an das Berliner Konservatorium, um Klavier und Komposition zu studieren.

 

Die ersten Kontakte zu Franz Liszt (1811 - 1886) dürften ihm wohl durch Hans von Bülow (1830 - 1894) vermittelt worden sein; jedenfalls finden wir 1856 Reubke als Liszts Kompositions- und Klavierschüler auf der Altenburg in Weimar. Nach der 1856/57 entstandenen großen Klaviersonate in b-Moll, die bereits beredtes Zeugnis eines außergewöhnlichen Talents ablegt, schrieb Reubke unmittelbar daran anschließend die Orgelsonate in c-Moll Der 94. Psalm.

Am 17. Juni 1857 brachte er das Werk bei einem Konzert im Merseburger Dom zur Uraufführung. Im Dezember 1857 ging Reubke nach Dresden, im Mai in das nahe gelegene Pillnitz, wo er Besserung seines schon länger bekannten Lungenleidens erhoffte. Er starb am 3. Juni 1858 und wurde am 7. Juni in Pillnitz-Hosterwitz begraben.

 

 

Mit seiner Orgelsonate schuf Reubke ein Werk im Geist der romantischen programmatischen Musik, als ein "Tondichter", wie das 19. Jahrhundert ihn hervorbrachte, als ein "dichtender Symphonist", wie Liszt es ausdrückte.

 

Die formale Abhängigkeit von Liszts Klaviersonate in h-Moll ist offenkundig, wobei diesem Werk jedoch offenbar kein Programm zugrunde liegt (auch nicht, wie im Bereich der programmatischen Musik oft geübt, im Nachhinein beigegeben) Anders als Reubke: der 94. Psalm dient seiner Orgelsonate insgesamt als Motto, ein Psalm, der den rächenden, richtenden Gott beschwört.

 

Eine programmatische Sonate dieser Art läßt sich mit mehrsätzigen Zyklen aus klassischer und romantischer Zeit in keinem Zusammenhang mehr bringen (gleich welcher Besetzung). Auch gegenüber den sechs Orgelsonaten von Mendelssohn, die 1845 erschienen waren und deren erste allenfalls noch an klassische Muster der Sonate erinnert, geht sie völlig eigene Wege: was sollte anders dafür stehen als das Verhältnis des Schülers Reubke  gegenüber seinem Lehrer Liszt ? Über dessen Kompositionsweise ließt man: " Liszt hat die Form aufgelockert wie kein anderer seiner Zeitgenossen. Zwei Triebfedern gaben die Motivations dazu her: einmal seine bis zum Fanatismus gehende Überzeugung, die strengen klassischen Formen seinen durch die Großen der Vergangenheit ausgeschöpft, und zweitens seine ungewöhnlich stark ausgebildete Fähigkeit, ein Motiv umzuformen, ein Gebilde der verschiendensten Art in Fülle hervorzubringen." So steht es auch um Reubkes Orgelsonate bestellt: die ersten Takte, ein unsymmetrisches Gebilde aus sieben Takten, liefern das thematische Material für die vier Teile, für die drei ineinander übergehenden Sätze. Ein weiteres, individuell ausgeprägtes Thema, das ein zweites genannt zu werden verdiente und als solches in der Sonate das dualistische Prinzip mitbegründen würde, tritt nicht auf.

So beherrscht also ein Thema die Teile des Ganzen, macht jeweils Veränderungen durch, die bis in kleine und kleinste Motive wirksam werden. Diese thematisch-motivischen Entwicklungen sind nicht rein formaler Art, vielmehr sind sie bezogen auf den Inhalt der jeweiligen Psalmverse und deren Ausdeutung.

Es ist selbstverständlich, daß sich der Liszt-Schüler Reubke einer Tonsprache bedient, die derjenigen seines Lehrers verpflichtet ist: üppige Chromatik, vor allem im harmonischen Bereich, die auch schon über Liszt hinausführt, desgleichen dynamische Schattierungen vom stärksten Fortissimo bis zum leisesten Pianissimo.

 

 

Marcel Dupré:  Symphonie-Passion op. 23

 

Marcel Jean Jules Dupré, den sein Schüler Olivier Messiaen einmal als „Franz Liszt der Orgel“ bezeichnete, wurde am 3. Mai 1886 im nordfranzösischen Rouen geboren. 

Marcel wuchs in einem Tempel der Musik auf: Vater Albert Dupré, Schüler von Felix-Alexandre Guilmant,  war ein ausgezeichneter Organist und Chorleiter, Mutter Alice Cellistin und Pianistin. Auch der Großvater und eine Tante, die mit den Duprés das Haus teilten, waren hauptberufliche Musiker.

Seine Ausbildung erhielt er zunächst vom Vater, dann von Felix-Alexandre Guilmant, der wie der Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll ein guter Freund der Familie war. Früh zeigte sich die Begabung für eine konzentrierte Arbeitsweise und das Talent eines außerordentlich befähigten Virtuosen.

Im Jahr 1902 wurde er am Pariser Conservatorium aufgenommen, welches er mit drei ersten Preisen für Klavier (1905), Orgel und Improvisation (1907) und Fuge ( (1909) abschließen sollte. Sein Lehrer Charles-Marie Widor, zu dessen Schülern auch Albert Schweitzer gehörte,  machte den Zwanzigjährigen zu seinem Assistenten in St. Sulpice. Dem Einfluß von Widor ist es zu verdanken, daß Dupré nicht die Laufbahn eines Konzertpianisten einschlägt.

Nach einer Reihe von Konzerten in Paris, in denen Dupré das gesamte Orgelwerk Johann Sebastian Bachs aus dem Gedächtnis spielte, wurde er vom Publikum oft als musikalisches Wunder bezeichnet. Nach dem ersten Weltkrieg konnte er sich rasch einen Namen als überragender Organist und Orgelimprovisator machen. Alleine 11 Konzertreisen führten ihn in die USA, zuletzt im Jahr 1962.

Ein Jahr später, 1926,  wird Dupré Professor für Orgel am Conservatoire Paris, wo er über drei Jahrzehnte ganze Generationen von französischen Organisten ausbildete. Unter seinen Schülern sind herausragende Musiker von Weltrang wie Olivier Messiaen, Jean Langlais, Jeanne Demessieux, die Geschwister Jehan Ariste und Marie-Claire Alain oder Jean Guillou.

Seit Mitte der zwanziger Jahre konzentriert sich das Schaffen Duprés überwiegend auf die Orgel.  Im hohen Alter von 89 Jahren gibt Widor 1934 sein Organistenamt nach 64 Jahren Dienst auf. Dupré,  28 Jahre lang Assistent, wird daraufhin  Titularorganist an der großen Cavaillé-Coll-Orgel von St. Sulpice und behält diese Stellung bis zu seinem Lebensende.

St. Sulpice bleibt das Zentrum des Schaffens von Dupré, dessen Orgelimprovisationen sonntags Scharen von Musikliebhabern in diese Kirche pilgern lassen.

Neben seinen Pflichten als Organist, Lehrer und Herausgeber von Orgelmusik und zahlreichen Lehrbüchern ist Dupré ein gefeierter Konzertorganist, der in seinem langen Leben weit mehr als 2000 Konzerten in aller Welt gespielt hat.

Es war stets das Bestreben von Marcel Dupré, die Orgel als vollwertiges, konzertantes Instrument zu Gehör zu bringen und die Musik für Konzerte von der Musik zu trennen, die im Gottesdienst Verwendung findet. Die Symphonie-Passion, die Variations sur un vieux Noel oder auch der Chemin de la Croix geben indes ein deutliches Zeugnis seiner religiösen Überzeugung.

Er erhält zahlreiche Auszeichnungen, Ehrungen und Preise, darunter Ehrendoktor-Würden des Baldwin-Wallace-Konservatoriums und der Päpstlichen Universität Gregoriana.

Marcel Dupré stirbt am 30. Mai, Pfingstsonntag, des Jahres 1971 in seinem Haus in Meudon, nachdem er bereits zwei Messen in St. Sulpice gespielt hatte.

 

 

Als Dupré Ende 1921 erstmalig in den USA auftrat und dort auf der damals größten Orgel der Welt konzertierte (200 Register auf 6 Manualen und Pedal), sollte er über vorgegeben Themen improvisieren. Unter diesen fand Dupré auch gregorianische Melodien:

 

"Jesu, redemptor omnium"; "Adeste fidele", "Stabat mater dolorosa", "Adoro te devote". "Da", so teilt Dupré in seinen Memoiren mit, "hatte ich die blitzartige Idee einer viersätzigen Symphonie:

 

"Die Welt in Erwartung des Erlösers", "die Geburt", "die Kreuzigung", die Auferstehung."

1924 arbeitete Dupré die Skizzen seiner Stehgreifdarbietung zur "Symphonie-Passion" aus, die neben Duprés "Kreuzweg" zu den wichtigsten Werken religiöser Programmmusik zu zählen ist und in seinem Werk eine zentrale Stellung einnimmt.

Bevor im ersten Satz "Le monde dans l'attende du Sauveur" der Hymnus "Jesu, redemptor omnium" von der  Oboe solistisch vorgetragen wird, herrscht Unordnung, geht es sehr tumultös zu: man findet 5er und 7er Takte, weiterhin häufige Taktwechsel, ebenso geschäftige, Unruhe erzeugende Akkordik. Vor dem strahlenden D-Dur-Schluß wird der cantus firmus in dreifachem Forte zwischen Oberstimme und Pedal kanonisch geführt.

 

Der in ätherischer Fis-Dur-Zartheit mündende zweite Satz (Nativité) verbindet eine der Oboe anvertraute schlichte Hirtenmelodik ("Cantabile") mit einem Marschidiom ("Tempo di marcia moderato"), bevor der Choral "Adeste fideles" in eine ganz entrückte Stimmung hineingestellt wird.

 

"Crucifixion", der die Kreuzigung behandelnde dritte Satz ("Lento"), steht wie die elfte Station ("Jesus wird ans Kreuz geschlagen") in Duprés "Kreuzweg", in f-Moll. Vom leisen Beginn geht die Entwicklung bis hin zu brachialen Akkordschlägen, ehe das marianische "Stabat mater dolorosa" für einen mystisch-asketischen Schluß sorgt.

 

Im Auferstehungsfinale ("Résurrection"; Allegro moderato") dagegen erklingt der Cantus firmus "Adoro te devote" schon gleich zu Anfang. Dupré kleidet das Ostergeschehen in eine prächtige Toccata.

 

Olivier Messiaen schrieb über die "Symphonie-Passion: "....der wunderbare Gebrauch der Zungenstimmen im chromatischen Kontrapunkt und die ständig wachsende Helligkeit und großen Klangausbrüchen in der 'Auferstehung' - all das war und ist großartig."